Vernichtung im Osten

Eugeniy Kuznetsow

Eugeniy Kuznetsow begab sich als 7-Jähriger auf eine über 7000 km lange Odyssee, mit „Verkehrsmitteln“ der 1940er Jahre in Russland – wenige Autos, ansonsten nur Bahn, Schiff und zu Fuß und das Ganze in einer chaotischen Kriegs- und Vernichtungsaktion, mit der die Deutsche Wehrmacht Russland überfallen hatte. Die anfänglich noch funktionierende Blitz-Kriegsstrategie der Deutschen hat alle staatlichen Planungen zur Evakuierung der russischen Bevölkerung zunichte gemacht, so dass die Flucht nur in privater Initiative der Mutter Sima organisiert werden konnte, immer unter erbärmlichen Bedingungen!

Lydia Belgorodskaja

„Bis heute höre ich die Alarmsignale für Bombenalarm!“
Beim Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 war Lydia 5 Jahre alt; sie musste mit ihrer jüdischen Familie in der ersten Etappe in den Nord-Kaukasus  evakuiert werden. Mit dem Sanitätszug ging es weiter  nach Machatschkala in Dagestan am Kaspischen Meer, von da weiter nach Baku, weiter über das Kaspische Meer und noch weiter bis nach Kirgistan. Eine Flucht- und Lebensgeschichte voller Details, spannend wie ein Kriminalroman, allerdings mit vielen Entbehrungen in sehr einfachen Verhältnissen.

Zwangsarbeit im Deutschen Reich: 13 Millionen

Maria Laskowski

„Nach Deutschland zu arbeiten geht ihr!“- diese Auskunft an die jungen Frauen und Männer im deutschen Güterwaggon aus der Sowjetunion mitten im Krieg, klang nicht wie eine wunderbare Ferienreise. Die 18jährige Maria Wolwatschewa wurde nach Herten ins Ruhrgebiet verfrachtet, zur Zeche Schlägel und Eisen. Maria berichtet von der schweren und langen Arbeit, von ihrer Unterbringung im Lager, von Misshandlungen, aber auch von kleinen freundlichen Gesten mancher Deutscher, die Mitleid hatten mit den ausgezehrten, ausgebeuteten Fremden.

Zofia Ogłaza geb. Karpuk

Bitte, bitte, eine Schnitte
An diesen Satz erinnert sich Zofia heute noch, als sie im Jahre 2021 mit 86 Jahren in Urfar den Bauernhof aufsuchte,  wo ihre Mutter vor fast 80 Jahren Zwangsarbeit leisten musste. Ihr jüngerer Bruder Janusz war auch dabei, denn die Kinder sollten in Polen nicht als Waisen zurückbleiben – der Vater war bereits nicht mehr zu Hause, weil er im polnischen Widerstand kämpfte. Unter dramatischen Umständen starb die Mutter Anfang 1945, so dass die Kinder, nach kurzer Erholung in Bayern und der Schweiz dann doch in einem Waisenhaus in Polen aufwachsen mussten.

Nelya Kapustina

„Bis heute ist ein mit Butter bestrichenes Brötchen mein Leibgericht“, bekennt Nelya Kapustina, am 9. September 1929 in der heute ukrainischen Stadt Tschernijiv geboren. Das hat mit einer, wie sie es ausdrückt, „Sünde“ zu tun, die sie als 12Jährige, gerade einen Monat vor dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, begangen hatte. Mit dem Überfall kommt der Hunger, der nicht aufhört. Und ständige Flucht. Mit ihren Eltern flieht Nelya von Winniza im Westen immer weiter nach Osten – sie wissen vorher nicht, wo genau es hingeht.

Boris Genkin

Boris Genkin, geboren 1930 in eine jüdische Familie, erlebte als 11jähriger in Charkow (Ostukraine) am 22. Juni 1941 den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion.

Sein Vater ging sofort zur sog. Volkswehr, die zerbombte Häuser und Gleisanlagen reparierte. Seine Mutter organisierte die „Evakuierung“ der Familie, denn Charkow wurde bereits im August 1941  bombardiert.

Halina Molotkova

Ich habe meine Mutter nie lächeln sehen

Halina war 5 Jahre alt, als ihre Heimatstadt Smolensk drei Tage nach dem Überfall von Nazideutschland auf die Sowjetunion im Juni 1941 von deutschen Raketen bombardiert wurde. Sie wuchs bis dahin in sehr bescheidenen Verhältnissen, dennoch als glückliches Kind in einer jüdischen, aber nichtgläubigen Familie auf. Ihre Schwester war bei Kriegsbeginn 10 Jahre alt, ihr kleiner Bruder erst einen Monat.

Abram Ilmer

Mit 11 Jahren musste ich die Mutter unterstützen, Bäume fällen, Pferde hüten

Abram Ilmer berichtet in unserem Erzählcafé des Bundesverbandes Information & Beratung für NS-Verfolgte in Recklinghausen von seinem Verfolgungsschicksal.

Alle in seiner Heimatstadt verbliebenen Juden wurden wenige Wochen nach Beginn seiner Flucht ermordet.

Valery Kuznetsow

„Ich würde mir wünschen, dass man heute nicht mehr weiß, was das Wort „Krieg“ bedeutet…“ so beschließt Valery Kuznetzow seinen Bericht.

Geboren wurde er 1937 in eine jüdische Familie in der Stadt Artemosk im ostukrainischen Donbas und erlebt als 4jähriger am 22. Juni 1941 den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Sein Vater wird sofort als Soldat zur Roten Armee eingezogen.

Emilia Shechtman

Emilia berichtet über ihre Flucht aus Charkow weit in den Osten Asiens, bis nach Chimkent in Usbekistan. Ihr Vater kam als Soldat ins eingeschlossene Leningrad und sah schreckliche Szenen mit vielen Toten, die auf den Straßen liegengeblieben waren. Und in Charkow kursierten kaum zu glaubende Gerüchte über Massenerschießungen von Juden aus Kiew – gemeint waren die Erschießungen von 33.000 Juden in der Schlucht von Babyn Jar. Nachbarn der Familie, die diese Gerüchte nicht glauben wollten, wurden ermordet und waren nach dem Krieg nicht mehr in Charkow.

Die Leningrader Blockade - 872 Tage

Zinovy Goldberg

„Meine Mutter rettete uns durch ihren eisernen Willen!“  Zinovij bekam – wie grundsätzlich alle Kinder und nicht-arbeitende Familienangehörige – nur 125 Gramm Brot. „Damit wir diese jämmerlichen 125 Gramm, also eine Scheibe Brot, nicht auf einmal essen, hat sie dieses Brot vor uns hoch oben im Schrank versteckt. Und dann hat sie nach und nach kleine Stücke herausgegeben.“  Zinovy Goldberg war zur Zeit der Leningrader Blockade noch ein Kind. „Diese schreckliche Hungersnot kann sich heute kaum jemand mehr vorstellen. Die Menschen starben an Ort und Stelle, auf der Straße.“

Alexander Gorodnitskiy

Kleinkinder wurden als Rindfleisch auf dem Markt verkauft
Das kursierte als Gerücht während der Leningrader Blockade – es stellte sich als wahr heraus.
Alexander Gorodnitskiy erlebte  als Kind seine Rettung aus der Blockade von Leningrad: Im April 1943 saß er auf der Pritsche eines LKW´s über den zugefrorenen Ladoga-See, der einzigen Möglichkeit für die Flucht von Menschen und die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln. 80 Jahre später gibt es ein Denkmal für den „Unbekannten Fahrer“ und Alexander widmet diesen Rettern ein Gedicht zum Dank.

Anna Mickhailova

Wir fuhren mit dem Zug in die Falle
– geradewegs in die Katastrophe der Blockade Leningrads! Als 11 jähriges Mädchen kommt Anna erholt vom Wolga-See aus den Sommerferien nach Hause und muss gleich alle Entbehrungen und Schrecknisse des deutschen Angriffs auf Leningrad miterleben. Die Blitzkrieg-Strategie der deutschen Generäle geht jedoch nicht mehr auf, der Vormarsch der deutschen Wehrmacht kommt zum Erliegen und Teile der „Heeresgruppe Nord“ müssen abgezogen werden zum Sturm auf Moskau.

Alexander Nikiforov

Im Brot war Sägemehl beigemischt – für Kinder eine dünne Scheibe pro Tag

Alexander erzählt die Geschichte seiner Kindheit, in der er die Belagerung der zweitgrößten russischen Stadt, Leningrad, das heute wieder St. Petersburg heißt, durch die deutsche Wehrmacht, erlebte.
Er war knapp 4 1/2 Jahre alt, als am 22. Juni 1941 der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begann. Die jüdische Familie floh aus der Heimatstadt Puschkin zu einer Tante nach Leningrad.

Vladimir Kachalov

Meine Seele sang vor Glück! Endlich konnten wir in den Reihen der Roten Armee kämpfen. Und ich war dabei! Aber was für eine Enttäuschung: Als wir vor Ort ankamen, sahen wir statt tapferer Soldaten mit Helmen und Zeltmänteln nur hagere, verwachsene alte Männer mit Pelzmützen und Watniks, die mit Panzerabwehr-Gewehren in den Trümmern lagen. Etwa 15 Meter von ihnen entfernt lagerten in flachen Gruben Kisten mit Granaten, die von uns 10-jährigen Kindern auf Handzeichen hin zu den Kanonieren heran geschleppt werden mussten. So berichtet Vladimir noch sehr präsent, über 80 Jahre später.